Hintergrund

Die Messsicherheit von Refraktionsbestimmungen wird in der Fachwelt regelmäßig diskutiert. In gerichtlichen Auseinandersetzungen kann es darum gehen, unter welchen Umständen das Refraktionsergebnis eines bestimmten Probanden als „falsch“ eingestuft werden kann und wann der Refraktionist im Falle einer Reklamation regresspflichtig ist. In Fernsehen und Presse werden regelmäßig Qualitätsvergleiche von augenoptischen Dienstleistungen durchgeführt (z. B. Marktcheck, Stiftung Warentest). Hierbei gehen die Refraktionsergebnisse in die Bewertung ein. Unklar bleibt meistens, wie der Referenzwert ermittelt wurde und welche Streubreiten zugelassen werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, einen genaueren Blick darauf zu werfen, wie groß die Schwankungen objektiver und subjektiver Refraktionsbestimmungen bei gesunden Augen sind und woher sie kommen können.

Grundsätzliches zur Refraktionsbestimmung

Die Refraktionsbestimmung ist eine Messung mit dem Ziel, die Fernpunktrefraktion eines Auges bzw. eines Augenpaares so genau wie möglich zu bestimmen.

Die heute wohl am häufigsten verwendete Strategie zur Ermittlung der Refraktion besteht darin, zunächst eine objektive Messung mit einem Autorefraktometer durchzuführen und die so gewonnenen Werte in einer subjektiven Refraktionsbestimmung abzugleichen.

Faktoren, die das Refraktionsergebnis beeinflussen können

Das Ergebnis der Refraktionsbestimmung ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Dazu gehören neben den systematischen und statistischen Fehlerquellen des Messverfahrens auch Eigenschaften von Prüfer und Proband.

Beurteilung des Bildes

Für einen stringenten Ablauf der Refraktionsprozedur sind eine gewisse Urteilsfähigkeit und Entscheidungsfreudigkeit des Probanden erforderlich. Zu einem Teil hängt dies von der Persönlichkeitsstruktur und eventuell auch von aktuellen Stresssituationen ab. Andererseits können sich Schwankungen in der optischen Qualität des Netzhautbildes z. B. durch Sicca-Symptomatik mit instabilem Tränenfilm oder Mouches volantes sehr störend auswirken und zu Fehlbeurteilungen des Probanden führen, was wiederum das Refraktionsergebnis verändern kann.

Stufung der Messgläser

Eine systematische Fehlerquelle bei der Reproduzierbarkeit der subjektiven Refraktionsbestimmung liegt in der üblichen ± 0,25-dpt-Stufung der Messgläser. Die Refraktion eines Auges kann jeden beliebigen Wert annehmen. Da im Regelfall nur eine einzelne subjektive Refraktionsbestimmung durchgeführt wird, ergibt sich die Grenze der Messsicherheit von ± 0,125 dpt allein aus der Stufung der Refraktionsmessgläser. Ein niedriger Visus erfordert eine gröbere Stufung, was zu entsprechend höheren Messunsicherheiten führt.

Fragen des Prüfers und Antworten des Probanden

Das Ergebnis einer Refraktionsbestimmung hängt von der Fragetechnik des Prüfers, den Antworten des Probanden und der Interpretation der Antworten durch den Prüfer ab. Eine korrekte Fragetechnik des Prüfers vorausgesetzt, haben das Beobachtungsvermögen und die Aufmerksamkeit des Probanden einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis der Refraktionsbestimmung. Nach Borish und Benjamin benötigt ein Proband zwischen 0,12 und 1,00 dpt Unterschied in der Glasstärke, um einen Unterschied in der Deutlichkeit des Bildes ausmachen zu können ([2], zitiert in [11]). Besonders beim Feinabgleich der Zylinderstärke und beim Achsabgleich spielt das eine erhebliche Rolle [6].

Physiologische Schwankungen der Akkommodation

Die Refraktion eines Auges unterliegt physiologischen Fluktuationen der Akkommodation. Die Akkommodation pendelt abhängig von der Objektentfernung mit einer Frequenz von 1–5 Hz und einer Amplitude von etwa ± 0,1 bis ± 0,25 dpt um die optimale Einstellung herum [4, 5, 8]. Bei einer subjektiven Refraktionsbestimmung hat der Proband in jeder Situation ausreichend Zeit zur Beurteilung der Sehzeichen, also sollte der Einfluss der Akkommodationsfluktuation gering sein. Darüber hinaus können Akkommodationsspasmen insbesondere bei jungen Hyperopen zu schwankenden Ergebnissen führen, wenn ohne Zykloplegie refraktioniert wird.

Pupillengröße

Die Pupillengröße des Auges ist für 2 Effekte verantwortlich, die sich auf die Reproduzierbarkeit einer Refraktionsbestimmung niederschlagen können.

Erstens beeinflusst der Pupillendurchmesser die geometrische Schärfentiefe des Auges. Je kleiner die Pupillengröße ist, desto größer ist die Schärfentiefe und desto schlechter lassen sich 2 ähnliche Seheindrücke voneinander unterscheiden. Der zweite durch die Pupille verursachte Effekt ist die Beugung des Lichts. Sie führt dazu, dass jeder auf der Netzhaut abgebildete Punkt als Airy-Scheibchen erscheint, also eine Ausdehnung hat. Das schlägt sich als Unschärfe nieder.

Beide Effekte dürften zu keinen signifikanten Variabilitäten der individuellen Reproduzierbarkeit der Refraktion führen, weil die Pupille eines Probanden bei einer Wiederholung der Refraktionsbestimmung unter vergleichbaren Beleuchtungsbedingungen immer ungefähr die gleiche Größe annimmt. Allerdings kann die Reproduzierbarkeit bei unterschiedlichen Probanden aufgrund verschiedener Pupillengrößen variieren.

Eine ausführlichere Abhandlung zu diesem Thema findet sich unter anderem bei Wesemann [19].

Refraktionsschwankungen durch Erkrankungen oder Medikamente

Durch Erkrankungen (z. B. Diabetes) oder Medikamenteneinfluss kann die Refraktion erheblich verändert und destabilisiert werden. Dieser Umstand ist bekannt und wird an zahlreichen Stellen diskutiert (z. B. [1, 9, 17]). In dieser Übersicht soll es ausschließlich um gesunde Augen gehen.

Ergebnisse vorangegangener Studien

Horstmann [10] untersuchte die tageszeitlichen Schwankungen der subjektiven Refraktion an 16 Testpersonen. Er führte über einen Tag verteilt an 4 Terminen je eine subjektive Refraktion durch und fand bezogen auf Sphäre und Zylinder Unterschiede im Refraktionsergebnis von ± 0,25 dpt. Die Abweichungen in der zylindrischen Wirkung und der Zylinderachse bezeichnete er als „sehr niedrig“, ohne eine Zahl anzugeben. Eine Studie von Krause und Taege [11] unterstützt das Ergebnis von Horstmann.

Zadnik et al. [20] führten an 40 Probanden je 2 subjektive Refraktionen im Abstand von 1 bis 14 Tagen durch und fanden als Differenz im sphärischen Äquivalent eine mittlere Abweichung von − 0,063 ± 0,319 dpt (Mittelwert ± Standardabweichung). Die 95 %-Übereinstimmungsgrenzen lagen also ± 0,625 dpt von der mittleren Refraktion entfernt.

Leinonen et al. [12] verglichen je 2 Refraktionsbestimmungen an 99 Augen. Unter den gemessenen Augen waren die Ergebnisse von 22 gesunden Augen, die anderen hatten eine Katarakt oder waren mit einer Intraokularlinse versorgt. Die Refraktionen wurden von 2 verschiedenen Prüfern durchgeführt. Der mittlere Zeitabstand zwischen den beiden Refraktionen betrug 45 Tage. Es zeigte sich, dass die Reproduzierbarkeit der Refraktion vom Visus der Probanden abhängig ist. Bei Probanden mit einem Visus von ≥ 0,7 fanden sie im sphärischen Äquivalent einen mittleren Unterschied von + 0,05 ± 0,51 dpt (MW ± 1,96s) zwischen den beiden Refraktionen. Das entspricht einer Standardabweichung von ± 0,260 dpt. Probanden mit einem Visus zwischen 0,3 und 0,45 zeigten im sphärischen Äquivalent größere 95 %-Übereinstimmungsbereiche von bis zu ± 1,14 dpt um den Mittelwert. Bei den zylindrischen Anteilen der Refraktionen lagen die Streuungen in der gleichen Größenordnung wie beim sphärischen Äquivalent.

Pseudovs et al. [14] untersuchten die Reproduzierbarkeit subjektiver Refraktionen durch 4 verschiedene Prüfer bei 16 Probanden. Sie fanden im sphärischen Äquivalent 95 %-Übereinstimmungsgrenzen von ± 0,484 dpt um die mittlere Abweichung. Für den Betrag der Zylinderkomponente (J 0 und J 45 zu einem Vektor kombiniert) zeigte sich im Median ein Unterschied von 0,110 dpt. Das 95 %-Perzentil lag hier bei 0,345 dpt. Die vektorielle Gesamtrefraktion (M, J 0 und J 45 kombiniert) zeigte im Median Unterschiede von 0,197 dpt mit dem 95 %-Perzentil bei 0,611 dpt.

In einer Studie von MacKenzie [13] wurde ein augengesunder Mann von 40 eingetragenen Optometristen untersucht. MacKenzie verwendete die Brechwertvektoren M, J 0 und J 45 für seine Auswertung. Er fand beim sphärischen Äquivalent M eine Standardabweichung von ± 0,28 dpt. Etwa ein Drittel der durchgeführten Refraktionen zeigte also im sphärischen Äquivalent eine Abweichung von mehr als 0,28 dpt oberhalb oder unterhalb des Mittelwerts. Die 95 %-Übereinstimmungsgrenzen lagen bei ± 0,549 dpt um den Mittelwert des sphärischen Äquivalents. In den astigmatischen Anteilen der Refraktion fand MacKenzie Standardabweichungen von ± 0,084 und ± 0,086 dpt für die Zylinderkomponenten J 0 bzw. J 45. Umgerechnet in die Wirkung des Gesamtzylinders bedeutet das 95 %-Übereinstimmungsgrenzen von ± 0,47 dpt um die mittlere Zylinderstärke. Weitere Studien von z. B. Rassow und Wesemann [15] sowie Rosenfeld und Chiu [16] kamen zu vergleichbaren Ergebnissen.

Probanden und Methoden

Studiendesign

In einer eigenen Studie wurden 20 augengesunde Probanden (Laien) im Alter zwischen 28 und 72 Jahren (11 m, 9 w, Median = 51,5 Jahre), davon 16 presbyope Probanden, je 2-mal an 2 nicht aufeinanderfolgenden Tagen innerhalb eines Zeitraumes von 2 Wochen von 6 erfahrenen Prüfern nach folgendem Schema refraktioniert:

  1. 1.

    Messung der objektiven Refraktion mit einem Autorefraktometer,

  2. 2.

    subjektiver Abgleich der Messwerte mit der Kreuzzylindermethode mit Binokularabgleich und Übergang Raum-Ferne. Der subjektive Abgleich wird nach der bei Diepes [7] beschriebenen Vorgehensweise durchgeführt.

Einschlusskriterium war weiterhin ein jeweils monokularer VisusCC von 0,8 oder mehr. Die Mehrheit der Probanden lag bei einem VisusCC von 1,0 bis 1,2. Lediglich 1 Auge des Probanden 15 war amblyop und wurde von der Auswertung ausgeschlossen.

Jede Refraktionsbestimmung wurde innerhalb von maximal 20 min durchgeführt. Bevor die eigentliche Messung begann, wurde im Rahmen einer Vormessung jeder Proband 3-mal nach dem oben beschriebenen Verfahren refraktioniert. Auf diesem Wege sollten die Probanden an den Ablauf gewöhnt werden und eine eventuell vorhandene Lernkurve überwinden. Außerdem wurden bei jedem Probanden die Abbildungsfehler höherer Ordnung mithilfe des Zeiss i.Profiler® bestimmt, um größere irreguläre Astigmatismen auszuschließen. Einschlusskriterium war ein mittlerer Wellenfrontfehler der höheren Ordnungen (RMS) kleiner als 0,4 μm.

Alle Refraktionsdaten wurden auf den Hornhaut-Scheitel-Abstand 13 mm umgerechnet und nach dem Verfahren von Thibos et al. [18] in Brechwertvektoren konvertiert, um die unabhängigen Parameter M, J 0 und J 45 anstelle der abhängigen Refraktionsdaten Sphäre, Zylinder und Achse zu erhalten.

Brechwertvektoren

Der Vergleich von Refraktionsergebnissen und die Berechnung von Mittelwerten und Abweichungen bergen die Schwierigkeit, dass die in der Augenoptik üblichen Parameter Sphäre (S), Zylinder (Z) und Achse (α) nicht unabhängig voneinander sind. Werden z. B. bei 2 Refraktionsbestimmungen identische Werte für Sphäre und Zylinder gemessen, aber unterschiedliche Werte für die Achslage, schlägt sich dies sowohl auf den sphärischen als auch auf den zylindrischen Korrektionszustand des Probanden nieder. Aus den voneinander abhängigen Parametern Sphäre, Zylinder und Achslage lässt sich dieser Unterschied jedoch nicht ohne Weiteres quantitativ erfassen.

Aus diesem Grund werden bei der statistischen Aufbereitung von Refraktionsdaten die sog. Brechwertvektoren (engl.: „power vectors“) eingesetzt. Die sphärozylindrischen Kombinationen werden nach Thibos et al. [18] in 3 Vektoren zerlegt: das sphärische Äquivalent M und 2 Kreuzzylinder J 0 für die Achslagen 0° und 90° sowie J 45 für 45° und 135°. Jeder Kreuzzylinder hat das sphärische Äquivalent 0. Zwei kombinierte Kreuzzylinder ergeben unabhängig von den Achslagen der Einzelzylinder wieder einen Kreuzzylinder. J 0 und J 45 beschreiben also vektoriell die Zylinderstärke und dessen Richtung und haben keinen Einfluss auf das sphärische Äquivalent M. Die explizite Angabe der Achslage erübrigt sich, weil die Richtung der Zylinderwirkung in den Größen J 0 und J 45 des Vektors steckt.

Ergebnisse

Refraktionsergebnisse

Die Ergebnisse der subjektiven Refraktionsbestimmungen für die Einzelaugen sind in Abb. 1 dargestellt. Die Daten sind nach dem sphärischen Äquivalent aufsteigend sortiert. Die sphärischen Äquivalente lagen zwischen − 6,19 und + 1,98 dpt mit einem Median von − 0,63 dpt. Die Beträge der Zylinderstärken sind als Balken dargestellt. Die gemittelten, subjektiv gemessenen Zylinderstärken lagen zwischen 0,08 und 4,32 dpt mit dem Median 0,68 dpt.

Abb. 1
figure 1

Sphärische Ametropien und Zylinderstärken der Probandenaugen. Die Grafik ist nach M aufsteigend sortiert. Die Einteilung nach Myopie und Hyperopie erfolgte ebenfalls nach dem sphärischen Äquivalent M

Beurteilt nach dem sphärischen Äquivalent handelt es sich um 23 myope und 16 hyperope Augen.

Probandenabhängige Abweichungen

In Abb. 2 finden sich je 40 Datenpunkte für die 95 %-Übereinstimmungsgrenzen des sphärischen Äquivalents und der Zylinderstärke jedes Einzelauges. Jeder Datenpunkt repräsentiert die 1,96-fache Standardabweichung eines Auges, ermittelt aus allen 24 bei dem jeweiligen Probanden durchgeführten subjektiven Refraktionsbestimmungen. Die mittlere Übereinstimmungsgrenze des sphärischen Äquivalents liegt bei ± 0,44 dpt um das mittlere M. Etwa 95 % aller ermittelten Übereinstimmungsgrenzen liegen für das sphärische Äquivalent zwischen ± 0,22 und ± 0,65 dpt. Die mittlere Übereinstimmungsgrenze für die subjektiv ermittelte Zylinderstärke ist ± 0,39 dpt; 95 % aller zylindrischen Standardabweichungen liegen im Bereich zwischen ± 0,12 und ± 0,67 dpt. Die unterschiedlichen Übereinstimmungsgrenzen zeigen die unterschiedlich gute Reproduzierbarkeit der Refraktionsbestimmung in Abhängigkeit von den Probanden.

Abb. 2
figure 2

95 %-Übereinstimmungsgrenzen der Probanden für das sphärische Äquivalent M und die Zylinderstärke Z

In Abb. 3 sind beispielhaft die Streuungen in M und Z für 2 Probanden mit unterschiedlich guter Reproduzierbarkeit dargestellt. Auf der Abszisse ist die Streuung der sphärischen Äquivalente dargestellt. Jeder Punkt stellt die Differenz zwischen einer Einzelmessung und dem Mittelwert aus allen Messungen dar. Auf der Ordinate ist die Streuung der Zylinderwerte abgetragen. Auch hier ergibt sich jeder Wert aus der Differenz zwischen einer Einzelmessung und dem Mittelwert aus allen Messungen. In die Auswertung sind für jeden Probanden 54 Messdaten eingeflossen: 24 Messungen für jedes Auge aus der Hauptmessung plus 3 Messungen pro Auge aus der Vormessung. Die Werte aus der Vormessung wurden einbezogen, da sich kein signifikanter Unterschied der Streubereiche aus Vormessung und Hauptmessung ergaben hat. Ergebnisse des rechten Auges sind grün, die des linken Auges rot dargestellt.

Abb. 3
figure 3

Streuungen im sphärischen Äquivalent und in der Zylinderstärke bei 2 Beispielprobanden. Die mittleren Refraktionswerte lagen bei Proband 11: R sph + 0,07 cyl − 1,70 A 6°; L sph 0,00 cyl − 0,95 A 164°; Proband 2: R sph − 0,22 cyl − 0,43 A 55°; L sph − 0,70 cyl − 0,44 A 67°

Die eingezeichneten Ellipsen repräsentieren den Bereich, in den mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % ein bei einer erneuten Refraktionsbestimmung erhobener Datenpunkt fallen würde. Interessant sind vor allem die horizontale und die vertikale Ausdehnung der Ellipse, denn diese Richtungen repräsentieren das sphärische Äquivalent und die Zylinderstärke.

Beim Probanden 11 unterscheiden sich die Streubereiche des rechten und linken Auges. Links weicht keine der Einzelmessungen im sphärischen Äquivalent und im Zylinder stärker als ± 0,5 dpt vom Mittelwert der Refraktion ab. Die Reproduzierbarkeit der Refraktionsergebnisse am rechten Auge ist besser und liegt bei ca. ± 0,3 dpt für M und Z. Bei Proband 2 sind die Streuungen erheblich größer. Bei einer erneuten Refraktion läge das sphärische Äquivalent mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % nicht weiter als ± 1,0 dpt und die Zylinderstärke nicht weiter als ca. ± 0,75 dpt vom Mittelwert entfernt.

Die Abb. 4 zeigt Streuungsplots für alle gemessenen Probanden. Wie in Abb. 3 sind die Differenzen zwischen Einzelmessung und Mittelwert von M auf der Abszisse und Z auf der Ordinate abgebildet. Die Ergebnisse der jeweils rechten und linken Augen sind aus Gründen der Übersichtlichkeit zusammengefasst. Die Ellipsen zeigen die Bereiche, in die mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % die Werte einer erneuten Refraktion fallen würden. Je kleiner diese Ellipse ist, desto besser ist die Reproduzierbarkeit der Refraktion eines Probanden. Ist der Streubereich kreisförmig, besteht eine ähnliche Reproduzierbarkeit hinsichtlich des sphärischen Äquivalents und der Zylinderstärke.

Abb. 4
figure 4

Streuungen aller Probanden. Die Streubreiten der einzelnen Probanden sind sehr unterschiedlich

Die Zylinderkomponenten J 0 und J 45 beinhalten neben der Zylinderstärke auch die Zylinderachslagen bei der Refraktionsbestimmung. Die mittleren Standardabweichungen der Zylinderkomponenten sind 0,1035 dpt für J 0 und 0,0890 dpt für J 45. Das Streudiagramm der Abweichungen der gemessenen Zylinderkomponenten vom Mittelwert lässt keine relevanten bevorzugten Richtungen der Zylinderachsabweichungen erkennen. Die Sicherheit, mit der die Achslage bestimmt werden kann, ist für alle Astigmatismusrichtungen annährend gleich groß (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Abweichungen der Zylinderkomponenten J 0 und J 45 vom Mittelwert. Jeder Punkt beschreibt das Wertepaar für die Differenz der Zylinderkomponenten vom Mittelwert bei einer Refraktionsbestimmung am Einzelauge. Die Ellipse stellt das 95 %-Konfidenzintervall der Messwerte dar

Die Sicherheit bei der Bestimmung der Achslage ist von der Zylinderstärke abhängig. Eine Verdrehung der Achse um einen bestimmten Betrag führt bei kleinen Zylinderstärken zu einem kleineren Fehler in der Korrektion als bei einem großen Zylinder. In der Abb. 6 sind die Streuungen in der Achsbestimmung für alle subjektiven Refraktionen in Abhängigkeit von der Zylinderstärke in blau dargestellt. Ab einer Zylinderstärke von etwa 2,00 dpt lässt sich die Achse auf wenige Grad genau reproduzieren, bei kleineren Zylindern sind die Schwankungen erheblich größer. In rot sind die Standardabweichungen der Achslagenabweichungen der Einzelaugen für den jeweils mittleren Zylinder eingetragen.

Abb. 6
figure 6

Differenzen der einzelnen Achslagen vom Mittelwert (blau) und Standardabweichungen der Achslagendifferenzen für die Einzelaugen (rot). Bis etwa 2,0 dpt Zylinderstärke verbessert sich die Reproduzierbarkeit der Achslage

Prüferabhängige Abweichungen

Die Abb. 7 zeigt die Abweichungen der Refraktionsergebnisse aufgeschlüsselt nach den Prüfern. Auf der Abszisse sind die Differenzen von Einzelmessungen und dem Mittelwert aller Prüfer im sphärischen Äquivalent abgetragen, auf der Ordinate stehen die Differenzen von Einzelmessung und Mittelwert der Zylinderstärke. Die Ellipsen repräsentieren den Bereich, in den mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % die Abweichungen im sphärischen Äquivalent und in der Zylinderstärke bei einer wiederholten Messung fallen würden. Die Abbildung enthält die Messungen der einzelnen Prüfer bei allen Probanden inklusive der Vormessungen. Die prüferabhängigen Standardabweichungen liegen bei etwa ± 0,5 dpt und sind für alle Prüfer ungefähr gleich groß.

Abb. 7
figure 7

Alle Prüfer haben ungefähr gleich große Streubreiten bei der Refraktionsbestimmung

Diskussion

Die Präzision einer Refraktionsbestimmung gilt als Qualitätskriterium bei der Augenglasbestimmung. Wendet man die gängigen subjektiven Refraktionsmethoden korrekt an, führt der Algorithmus meist zu einem eindeutigen Ergebnis. Dies verleitet in der subjektiven Wahrnehmung der Refraktionisten zu der Einschätzung, dass Refraktionswerte innerhalb der üblichen 0,25-dpt-Stufung vollständig reproduzierbar seien. Eine Vielzahl von Einflüssen führt jedoch auch bei gesunden Augen zu Streuungen bei der Refraktionsmessung, die deutlich über die Glasstufung hinausgehen können. Schwankungen durch die subjektiven Einflüsse des Probanden und des Refraktionisten überlagern tageszeitliche und physiologische Schwankungen sowie Limitationen durch die Refraktionsmethodik.

Die einzelnen Einflüsse lassen sich kaum kontrollieren. Dadurch ist auch unter optimalen Verhältnissen, wie sie bei der vorliegenden Studie gegeben waren, mit einer Streuung (95 %-Bereich) von ca. ± 0,4 dpt beim sphärischen Äquivalent und beim Zylinder zu rechnen. Die aktuellen Ergebnisse decken sich weitgehend mit Aussagen vorangegangener Studien. Jedes Messergebnis, das innerhalb des 95 %-Streubereiches liegt, muss folglich als korrekt gelten. Zur Bewertung eines Einzelfalles müsste die individuelle Streubreite des Refraktionsergebnisses bekannt sein. Aus Abb. 4 geht hervor, dass die Reproduzierbarkeit von subjektiven Refraktionswerten interindividuell sehr unterschiedlich ist. Die „zuverlässigsten“ Probanden erreichen eine Streuung (95 %-Bereich) von ca. ± 0,3 dpt in Sphäre und Zylinder, während die „schlechtesten“ Probanden bei einer Streuung um ± 0,75 bis ± 1,0 dpt liegen.

Die Reproduzierbarkeit der Achslage zeigte eine starke Abhängigkeit von der Zylinderstärke (Abb. 6). Bei kleinen Zylinderstärken liegt die Streubreite erheblich höher als bei größeren. Der Grund dafür liegt im durch eine Achsabweichung verursachten Fehlerzylinder. Einen Achsfehler von 10° angenommen, ergibt sich bei einer Zylinderstärke von 0,50 dpt ein Fehlerzylinder von 0,17 dpt. Hier ist fraglich, ob der Proband den Unterschied bemerken kann. Bei einer Zylinderstärke von 3,00 dpt führt der gleiche Achsfehler zu einem Fehlerzylinder von 1,04 dpt und wird vom Probanden sicher wahrgenommen.

Die ausgewerteten Augen hatten im Mittel einen korrigierten Visus von 1,1 (Bereich 0,8 bis 1,2). Damit lag die Sehschärfe in einem Bereich, in dem eine gute bis sehr gute Beurteilung der Optotypen möglich ist. Lediglich bei Proband 15 ergab sich eine zuvor nicht bekannte Amblyopie am linken Auge. Bei einem Visus von 0,2 zeigte sich ein erwartungsgemäß großer 95 %-Streubereich von ± 1,5 dpt für sphärisches Äquivalent und Zylinder. Dieses Auge wurde aus der weiteren Auswertung ausgeschlossen.

Alle Probanden wurden 3 Vorrefraktionen unterzogen, um einen ggf. auftretenden Lerneffekt zu erfassen. Die Streubereiche aller Vorrefraktionen waren jedoch nicht signifikant unterschiedlich zu den Streuungen der Hauptuntersuchung. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass sie der gleichen Grundgesamtheit entstammen und damit kein relevanter Lerneffekt aufgetreten ist. Aus diesem Grund wurden die 3 Vormessungen auch in die weiteren Auswertungen einbezogen.

Für Test- und Prüfungszwecke wäre ein Proband mit geringer subjektiver Refraktionsstreuung sinnvoll. In jedem Falle muss zur Bewertung eines Refraktionsergebnisses der individuelle 95 %-Streubereich bekannt sein. Andernfalls besteht die Gefahr, dass individuelle Refraktionsstreuungen als Messfehler missdeutet werden. In der Praxis liegen keine Informationen zum individuellen Streubereich des Probanden vor. In der vorliegenden Studie liegen 95 % aller Probanden innerhalb einer Streuung von maximal ± 0,65 dpt für das sphärische Äquivalent bzw. ± 0,67 dpt für den Zylinder (1,96*Standardabweichung; Abb. 2). Bei gutachterlichen Fragestellungen muss deshalb, wenn keine detailliertere Information zur individuellen Streubreite vorliegt, von diesen Toleranzen ausgegangen werden.

An dieser Studie nahmen 6 Refraktionisten mit langjähriger Refraktionserfahrung teil. Alle verwendeten die gleiche Refraktionsmethode nach Diepes [7]. Die Tatsache, dass die Streuung der Refraktionsergebnisse bei allen Prüfern annährend gleich war, zeigt eine insgesamt geringe Untersucherabhängigkeit der Kreuzzylindermethode. Einzelne Ausreißer in Abb. 7 können sowohl untersucher- als auch probandenbedingt sein.

Autorefraktometer zeigen bei modernen Geräten durch sehr schnelle Mehrfachmessung und Mittelwertbildung eine im Vergleich zur subjektiven Refraktionsbestimmung etwas höhere Reproduzierbarkeit [21]. Sie sind somit hervorragend zur Vormessung geeignet. Es ist darauf zu achten, dass im Gerätemenü mindestens 3, besser 5 Messungen als Grundlage verwendet werden. Die hoch entwickelte Messtechnik darf jedoch die subjektive Refraktionsbestimmung im direkten Kontakt mit dem Probanden nicht ersetzen. In jedem Einzelfall sind die Refraktionsmethoden sorgfältig, korrekt und vollständig anzuwenden. Ein Binokularabgleich am Ende der Refraktionsbestimmung zur Herstellung des Refraktionsgleichgewichtes erhöht die Verträglichkeit der Brille und sollte immer Bestandteil einer Augenglasbestimmung sein.

Fazit für die Praxis

  • Die Reproduzierbarkeit von Refraktionsergebnissen bei gesunden Augen ist selbst unter optimalen Bedingungen begrenzt.

  • Zur sicheren Bewertung eines Refraktionsergebnisses muss der individuelle Streubereich des Probanden bekannt sein.

  • Refraktionsmessungen ohne Toleranz sind nicht möglich.